Das Sterben der Träne

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Facellas sterbende Tränen

@facella mit einem Gastbeitrag über Weinen bzw. warum sie nicht weinen kann. Das wird das ehrlichste sein, was Du hier zu lesen bekommst. Und sag nicht, dass ich Dich nicht gewarnt habe, dass es Dir Dein Herz zerreißen könnte. Das habe ich nämlich gerade.

Vorweg: Weinen ist so eine Sache, die ich nicht kann. Viel mehr nicht mehr kann. Ich will nicht sagen, dass ich nie weine. Ich weine beim Zwiebel schneiden oder wenn mir der Rauch einer Zigarette in die Augen steigt. Oder wenn ich mich dazu zwinge. Kennt ihr diese Kinder, die auf Tropfdruck weinen können? Das kann ich zwar nicht, aber wenn ich lange genug meine Augen aufeinander presse, bis bunte Punkte vor ihnen erscheinen, bildet sich Tränenflüßigkeit. Auch bin ich Empath. Soll heißen, wenn jemand neben mir weint, kann ich es leichter vortäuschen. Aber wirklich weinen, das kann ich nicht.

Nicht, dass ich es nicht versuche. Das tue ich nur allzu oft. Ich fange an zu hyperventilieren, beginne diese typischen Heulgeräusche von mir zu geben. Aber nichts kommt. Außer etwas Selbstmitleid dafür, dass ich es nicht kann. Dieses bitterliche Weinen, dieses das in Filmen immer gezeigt wird, dieses im Bett liegen und die Tränen von ganz alleine kommen lassen. Das passiert bei mir nicht.

Die Gründe liegen offen auf der Hand, wenn man mich kennt. Das tut ihr aber nicht. Ich hab darüber vor kurzem ein Interview gegeben, für ein Buch, das nächstes Jahr zum internationalen Tag der Depressionen erscheinen soll. Daraus werde ich ein wenig zitieren, weil es einfacher ist, weil ich an dem Abend klarer im Kopf war.

“Die können Symptome bekämpfen, an die Ursache denken sie nicht. Das ist ja auch logisch. Sind die Symptome dank zahlreicher Medikamente weg, dann muss sich das mit der Ursache geregelt haben. Aber so spielt es sich nicht. Aber sag denen das mal. Dann bekommst du deine Dosis Sedativum und schläfst oder liegst auch stundenlang bewegungsunfähig in deinem Bett, hörst, spürst, aber kannst nichts tun. Das macht das Ganze natürlich besser. Aber Hauptsache der Schmerz ist betäubt. Den kann man aber nicht betäuben. Der kommt von ganz tief drin, dorther, wo kein Medikament der Welt hinkommt. Man stumpft nur ab und steht irgendwann als gefühlslosen Wrack da und kann nicht mehr richtig fühlen. Man spürt nur noch den Schmerz, der von Innen kommt und dich langsam auffrisst. Davor gab es Hochs und Tiefs. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Das stirbt irgendwann an der Chemie. Da stirbt das richtige Fühlen in dir und du würdest alles tun, um es wieder zu bekommen, aber weißt einfach nicht wie.”

Ich weiß nicht, ob es nur an den Medikamenten liegt oder an den Jahren in Therapie oder an den etlichen Diagnosen, die ich bekam, welche da auch immer gestimmt haben mag. Es war wohl ein Zusammenspiel. Aber um weiter zu zitieren:

“Ich glaube, da hat so einiges mit reingespielt. Man sagt ja, daß viele Köche den Brei verderben. Also bin ich in Wahrheit ein psychisch kranker Brei, an dem viele Köche rumgepfuscht haben.”

(Ich finde es übrigens merkwürdig mich selbst zu zitieren.) Heute bin ich nicht mehr in Therapie und nehme auch keine Medikamten mehr. Die letzten nahm ich vor über einem Jahr, vielleicht sind es auch schon fast zwei, so recht weiß ich das nicht mehr.

Das Spüren kommt ganz langsam, fast schleichend. Ich spüre wieder Kälte, wenn ich halbnackt im Schnee stehe. Ich spüre wieder Hitze, wenn ich die Badewanne mit kochend heißem Wasser volllaufen ließ und mich reinsetze. Ich spüre wieder Schmerz, wenn ich Dank meiner zwei linken Füße wieder auf der Fresse oder dem Arsch lande.

Ich fühle wieder, wenn mich jemand berührt, so ganz nah am Herzen, wenn die Welt untergeht und wenn dieses ganz grandiose Etwas passiert. Ich lache wieder, ich ärgere mich wieder, ich empfinde wieder. Aber auf den Rest warte ich noch. Auf diese Überdosis Gefühl. Lachen und weinen gleichzeitig. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt.



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