Liebe ist für alle da – Wie und warum Julia bei #OccupyMünchen festgenommen wurde

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Flyer LiMa

Ich hab das jetzt verdaddelt, aber so lang ist Occupy München nun auch nicht her, dass man diese verblüffende Story nicht bringen könnte, die einen härter mit dem Kopf schütteln lässt als Willow Smiths “Whip My Hair”. Ich sag mal so, der Flyer da oben spielt eine entscheidende Rolle.

Netterweise durfte ich den folgenden Text von Günther Gerstenberg übernehmen. Danke Günther, danke Julischka!

Liebe ist für alle da

Eine eigenartige Gitterkonstruktion mit vier weit geöffneten Eingängen erstaunt am Vormittag des 15. Oktober 2011 den verwunderten Antifaschisten auf dem Sendlingertor-Platz. Hier sollen die Republikaner (Rep) ihre Kundgebung abhalten? Weit und breit keiner zu sehen! Einige Polizisten stehen gelangweilt herum. Seltsam, vier weit geöffnete Eingänge. Vorne bei der Sendlinger Straße steht ein Zug des düster gekleideten Unterstützungskommandos (USK).

Die Gegendemonstranten unterhalten sich, wärmen sich in der Sonne. Bis jemand ruft, „los, mia gengma“ und dann zieht die Spontandemo zum Marienplatz. Etwa hundert sind wir, flankiert vom USK gehen wir Parolen rufend durch die Sendlinger Straße. Tatsächlich, auf dem Marienplatz befindet sich ein abgesperrtes Karree der Reps. Die Antifas besetzen die Plätze an der Ostseite der Absperrung. Sofort platziert sich direkt daneben das USK.

Die überwiegende Mehrzahl der Zuhörer lehnt die Reps ab. Der erste, eher uneloquente Rep-Redner wird ausgebuht, mit Pfiffen bedacht; es ertönen Sprechchöre, naturgemäß auch von Seiten der Antifa, darunter viele Punks. Das USK rückt näher. Bei der Polizeiführung ist hektische Betriebsamkeit zu erkennen.

Nachdem der Rep-Redner seine hilflosen Ausführungen kläglich beendet, tritt ein forscher Agitator hinter das Mikrophon und erwähnt lautstark als erstes, dass die hier auftretenden Störer doch noch nie gearbeitet hätten und eine Schande wären usw. Naturgemäß nehmen daraufhin die Rufe „Haut ab!“ und „Nazis raus!“ ebenfalls an Lautstärke zu. Trillerpfeifen lärmen. Das USK rückt näher. Leitende Polizeibeamte deuten auf verschiedene Gegendemonstranten. Offenbar werden diese damit „markiert“.

Ein Lautsprecherwagen der Polizei fährt auf. Eine Beamtin spricht: Hier sei eine nicht angemeldete Kundgebung im Gange. Die Polizei werde diese Kundgebung selbstverständlich schützen. Sie fordere aber den Verantwortlichen der Kundgebung auf, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen.

Diese Durchsage erzeugt allgemeine Verwirrung. Einige meinen, damit seien die Reps gemeint. Aus den Reihen der Gegendemonstranten ertönt „Ein Hoch der Polizei“. Andere Gegendemonstranten vermuten, dass mit der Durchsage der etwas unübersichtliche, sich auf der Ostseite der Absperrung massiert befindliche Antifa-Haufen angesprochen werde. Die Verwirrung ist so groß, dass zunächst sich niemand äußert. Auf dem Marienplatz herrscht beinahe betretenes Schweigen.

Die Polizistin wiederholt ihre absurde Durchsage. Eigentlich ist doch klar, dass die Gegendemonstranten keine eigene Kundgebung veranstalten und dass da schon gar kein Verantwortlicher sein kann. Und die Reps meint sie ganz sicher nicht. Stumme Ratlosigkeit lastet schwer auf dem Marienplatz. Das USK rückt näher.

Immer noch ist es ziemlich ruhig. Zum dritten Male spricht die Polizistin aus dem Lautsprecherwagen. Sie will endlich einen Verantwortlichen sprechen. Aber da schreit wieder der Rep-Führer und die Trillerpfeifen ertönen und Parolen werden gerufen „Hau ab“.

Eine kleine Gruppe des USK sticht in die Gruppe der Antifas und führt einen Mann ab. Es wird wieder ziemlich laut auf dem Platz. Vom Rathaus her kommt eine junge Dame. Sie verteilt Flyer. Auch ich nehme einen. Im gleichen Moment eilt ein geschäftiger Polizist herbei: „Gems ma a oan!“ Die junge Dame – es ist Julia Killet, die Regionalmitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern – gibt ihm freundlich das geforderte Papier.

Der Mann liest hektisch, dreht und wendet das Blatt, um dann erregt herauszuplatzen: „Jo, do is ja gar koa presserechtlich Verantwortlicher net drauf. Des is fei net in Ordnung!“ Ein zweiter Polizist eilt herbei. Es kommt zu einem längeren Disput. Julia Killet erklärt lang und breit, dass der Flyer in Berlin gedruckt wurde, dass doch völlig klar sei, von wem er stamme, dass die Stiftung und alle Veranstalter darauf zu lesen seien …

Der Polizist barsch: „Vom boarischen Pressegesetz her geht des ja übahaupts gar net, wenn da koa presserechtlich Verantwortlicher net drauf is.“ Ein Vorgesetzter wird zu Rate gezogen. Währenddessen brüllt nebenan der Rep-Führer seine Parolen, protestieren Gegendemonstranten, werden Gegendemonstranten abgeführt.

Schließlich erfolgt die Aufforderung an Frau Killet: „Sie kemman jetzt mit zur Personalienfeststellung.“ Ganz offenbar handelt es sich hierbei um die sogenannte „Ingewahrsamnahme“, um einmal die Identität der Täterin festzustellen und um dann natürlich die inkriminierten Gegenstände „sicherzustellen“. Ich gehe mit Frau Killet mit, was die Beamten einigermaßen stört, und so trotten wir, martialisch flankiert und neugierig vom samstäglichen Konsumpöbel bestaunt, zum Rindermarkt.

GESA von Julia KilletHier stehen mehrere Polizeifahrzeuge, zwei mit orangen Fähnchen mit der Aufschrift „GeSa“ versehen auf dem Dach, offenbar ein weiblicher Vorname, eine lustige Bezeichnung für eine Polizeiabteilung, finde ich. Auf Nachfrage erfahren wir, das sei die Abkürzung für „Gefangenensammelstelle“. Ein Blick auf den Alten Peter: Inzwischen ist es Viertel nach 12 Uhr.

Wir werden an eine der Wannen geführt, Frau Killet wird darauf hingewiesen, dass sie ihre Hände nicht in ihrer Jackentasche aufwärmen dürfe. „Zoagns Ihre Händ und jetzt stelln Sie sich dahin“, sie wird leibesvisitiert – da könnten sich ja mordsgefährliche Waffen an der Dame befinden – und Polizistenfinger durchwühlen ihre Handtasche. Dann geht es darum, Auskünfte zu erteilen. Wer sie sei, wo sie wohne, wo ihr Ausweis sei, wer ihr die Flyer gegeben habe, ach so, sie habe die selber in Auftrag gegeben, „des is ja komisch, Sie verteiln die seiba, die Flyer?“

Währenddessen werden links und rechts von uns weitere Ingewahrsamgenommene ausgefragt, belehrt, fotografiert. Und das in einer nachgerade aufreizenden Langsamkeit. Frau Killet fragt mich, „Sag mal, täusche ich mich da, sind hier nicht vor allem junge Punkerinnen, die da ‚behandelt’ werden?“ Es ist auch mein Eindruck, den ich nicht zum ersten Male habe – es sind vor allem junge und vor allem weibliche Gegendemonstranten, die hierher gebracht werden. Warum, kann vermutlich nur der Psychologe beantworten.

Sinn und Zweck der ganzen Inszenierung: Leute festhalten, abführen, ihnen die Grenzen aufzeigen, sie zurecht weisen, ihnen zeigen, wo der Bartel den Most holt, sie zermürben, sie vereinzelt inquisitorisch befragen, sie demütigen, einschüchtern, natürlich ihre Identität feststellen und sie in der GROSSEN DATENBANK für alle Ewigkeit und Eventualitäten aufbewahren. Später, Jahre später hörst du dann: „Mir wissma genau, wer Sie san, Sie san bei uns koa Unbekannter net, Sie kenn ma scho, gei!“

Inzwischen ist eine Stunde vergangen. Frau Killet hat alles gesagt. Sie würde jetzt gerne wieder gehen. Aber es reicht noch lange nicht. Sie muss ins Röhrchen pusten, aber der Stunden zuvor genossene, naturtrübe Apfelsaft gibt wenig Promille her. Schließlich wird sie fotografiert. Ich bin ziemlich erstaunt, dass sie immer noch ausgesprochen freundlich mit den Polizisten spricht.

Ich spreche einen Beamten an, rede von Verhältnismäßigkeit der Mittel, von Ermessensspielraum, sage ihm, dass das hier nur noch lächerlich ist. Er erwidert grob, dass sie dies täten gemäß dem neuen Polizeiaufgabengesetz (PAG): „Mia macha des, weis Gsetz des so wui.“ Einspruch mächtig abgeschmettert! Aber eins denk ich mir dann schon über meine Intervention: Nützts nix, so schods aa net.

Die beschlagnahmten Flyer werden gezählt. Im Protokoll kann Frau Killet auch entscheiden, ob sie mit der „Sicherstellung“ der Flyer einverstanden ist oder nicht. Das ist echt demokratische Wahlfreiheit. Sie ist nicht damit einverstanden. Die Prozedur zieht sich hin. Über uns dreht sich das orange Fähnchen mit der Aufschrift „GeSa“.

Durch die Fenster der Wanne neben uns sehen wir ein zwölf- bis vierzehnjähriges junges Mädchen mit bunt gefärbten Haaren, das ziemlich verloren aussieht. Auf seinem T-Shirt steht „Liebe ist für alle da“. Wir zwinkern ihm zu und winken, das Mädchen winkt vorsichtig zurück.

Gedanken, die einem da kommen: Wegen einer Lappalie tritt diese Uniform dir entgegen, baut sich vor dir auf, macht dir klar, dass du immer noch in der „Ordnungszelle Bayern“ haust, dass du wieder mal eine dieser Tausende von Vorschriften nicht beachtet hast, dass du nachlässig warst, dem fürsorglichen Ordnungswillen und –wollen des „Frei“staates, der ja nur dein Bestes will, wieder nicht genüge getan hast, und du hörst, „I muss Sie belehrn, so gehts net, kommens mit, bleibens da stehn, machens jetzt Angaben zur Person, gengans weida …“.

Dieser Tonfall ist so unerträglich, so arrogant, selbstgerecht und übergriffig, dass ich immer mehr verstehe, wenn Freundinnen und Freunde von mir ganz ernsthaft planen, auszuwandern. Nur weg aus diesem Land, weit weg! Weg von einem Land, in dem alles, was nicht ausdrücklich erlaubt wurde, ganz offensichtlich VERBOTEN ist.

Und am End seids nur noch unter Euch, gell, denk ich mir. Und ich frage mich: Bin ich eigentlich dazu auf der Welt, um mich die ganze Zeit mit Geboten und Verboten auseinandersetzen zu müssen? Klare Antwort: Nein! MIA GLANGTS! Mia woin von Eich gar nix, lassts uns doch einfach nur in Ruh, Ihr Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Innenminister …

Der Zeiger auf der Turmuhr vom Alten Peter geht auf zwei Uhr. Frau Killet unterschreibt das Protokoll, bekommt den vorschriftsmäßigen Durchschlag und ist gnädig entlassen.

Julia Killet ist erst seit kurzer Zeit im schönen München. Sie hat gestaunt. Und vermutlich bleibt sie auch noch ein paar Monate, weil sie von München und Bayern noch nicht alles kennt.

von Günther Gerstenberg



    6 Kommentare:

  • Michaela Jockisch via Facebook schreibt am 24. Oktober 2011 um 22:42

    Oh Mann, das flasht mich zurück in die Endachtziger-/Anfang der 90er-Jahre. Exakt der selbe Scheiss. Reps, Sendlinger Tor und Kanonen auf (die falschen) Spatzen. Und das ärgert mich weitaus mehr als die Erkenntnis, hey, ich werde alt…

  • daMax schreibt am 24. Oktober 2011 um 23:01

    Yep, so geht’s zu im Polizeistaat Deutschland. Klingt nach business as usual, so bitter das auch ist.

    “Mia woin von Eich gar nix, lassts uns doch einfach nur in Ruh”. Nagel annen Kopp.

  • Ex-Bayer schreibt am 25. Oktober 2011 um 03:12

    Erinnert mich auch an diverse Zusammenstöße mit der bayerischen Polizei, als ich noch da wohnte. Vor allem dieses beliebte Spiel mit dem V.i.S.d.P. Mir wurden auch schon Flugblätter deswegen beschlagnahmt.
    Und warum so viele junge Leute in Gewahrsam genommen werden? Damit sie eingeschüchtert sind und nie wieder auf eine Demo gehen natürlich…

  • jule schreibt am 25. Oktober 2011 um 07:33

    Bayerischer Polizist bei der Demo am 19. Februar in Dresden: “I moag eich oalln oane watschn!” alles sehr bezeichnend. leider.

  • Marcel schreibt am 25. Oktober 2011 um 12:22

    Kann mir einer erklären, warum so was wieder mal nur in Bayern möglich sein soll? Ist die Polizei in anderen Bundesländern von Nächstenliebe nur so erfüllt? Mich nervt ständig dieses Bayern gebashe. Sowas hätte in Berlin genau so passieren können wie in Köln.

  • txxx666 schreibt am 28. Oktober 2011 um 01:13

    Tja, Julischka, ich hab’s dir ja gleich gesagt:
    ♪ ♪ “Wärst du doch in Düsseldorf geblieben” ♪ ♪ … ; )

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