Sollte das Vereinigte Königreich Mitglied der Europäischen Union bleiben oder die Europäische Union verlassen? Dies war die Frage über die Großbritannien per Volksentscheid abstimmen konnte. 51,9% stimmten dafür die Europäische Union zu verlassen. Eine Stärkung für Euro-Kritiker allerorts und ein Gewinn für Rechtspopulisten. Außerdem eine Entscheidung mit enormen Auswirkungen und keineswegs zu vergleichen mit Grönlands EU-Austritt 1985.
Das britische Pfund fällt auf ein Rekordtief. So niedrig wie zuletzt vor 31 Jahren. Auch der DAX sackte am Morgen um 9,98% ab. Außerdem hat Premier David Cameron als Konsequenz aus dem Brexit-Votum seinen Rücktritt angekündigt. Sein Aufgeben ließe sich dahin deuten, dass das Vereinigte Königreich den Brexit vollziehen wird. Dabei ist das Referendum keineswegs bindend, die Entscheidung über den Austritt kann nur das britische Parlament treffen. Auch gibt es eine sechswöchige Frist, in der Einsprüche gegen das Ergebnis eingereicht werden können. So lange wird der Ausstieg wahrscheinlich nicht offiziell verkündet.
Denn dies muss geschehen. Die Europäische Union muss über die Entscheidung offiziell in Kenntnis gesetzt werden. Dann sind maximal zwei Jahre für Austrittsverhandlungen vorgesehen.
Eine komplette Abkapselung von der EU ist allerdings unwahrscheinlich. Dennoch ist hier alles offen. Insbesondere die Befürworter des Brexits haben sich kaum zu zukünftigen Plänen geäußert. Erst raus, dann erst sehen wie es weitergehen könnte…
Möglichkeiten gäbe es dabei einige. So ist auch Grönland nach seinem Austritt weiterhin mit der EU verbunden:
“Grönland genießt in der EU allerdings weiterhin den Status eines ‘assoziierten überseeischen Landes’ mit den Vorteilen einer Zollunion (vgl. Art. 188 EG-Vertrag).”
Auch ein norwegisches Modell ist nicht unwahrscheinlich. Das Land ist kein Mitglied der Europäischen Union, allerdings Mitglied der Europäischen Freihandelsassoziation sowie Mitglied des Schengen-Raums. All dies ist allerdings unklar. Der Focus prognostiziert:
“In den kommenden Wochen beginnt die politische Isolation der Briten auf der europäischen Bühne. […] Die Brexit-Befürworter in der Konservativen Partei üben Druck auf die Regierung aus, eine klare Abspaltung von EU durchzusetzen.
Die Finanzmärkte beruhigen sich wieder etwas, die Unsicherheit bleibt aber hoch und die Zentralbanken stehen weiterhin bereit unterstützend zu agieren. […] Ab Anfang September wird in Brüssel über die Austrittsmodalitäten verhandelt.”
Der wirtschaftliche Impact ist schon aktuell an Pfundkursen und der Börse abzulesen. Das europäische Investitionen aus Großbritannien abgezogen werden ist bei vollzogenem Brexit sicher. Unsicher dagegen ob dies nicht gar zu einer größeren Rezession führen könnte. EU-Kritiker*innen werden live mitverfolgen können was ein solcher Austritt mit sich bringt.
Dennoch halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass das Referendum eine Stärkung neurechter Parteien und Gruppierungen europaweit mit sich bringt. Le Pen, AfD und Co. sind schon jetzt Gewinner des Volksentscheids. Fraglich ob sie diese völkisch-nationalistische Stimmung für sich nutzen können. Ich hoffe nicht!
Update vom 25.06.:
Schottland will die Brexit-Entscheidung nicht hinnehmen. Deshalb laufen nun Vorbereitungen für ein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit von Großbritannien. Auch in Gibraltar wurde von 96% gegen den Brexit gestimmt. Spanien nutzt mal eben die Chance um die Insel zurückzufordern.
Weiterführende Links:
Die kommenden Tage – Wie geht es nach dem Brexit weiter? (n-tv)
Nach dem Brexit-Referendum – They’ll leave (taz)
Briten stimmen für Austritt aus der EU – Das Wichtigste im Überblick (bento)
Brexit – Themenseite bei SpOn
Der #Brexit und die Reaktionen im Netz (Blogrebellen)
Britain for the British – Über die Kampagnen zum Brexit (Jungle World)
Brexit und Patriotischer Frühling von Andreas Kemper
Brexit-Befürworter Farage kassiert wichtigstes Brexit-Versprechen direkt wieder ein (SZ)
Brexit bei anmut und demut
Brexit-Reaction-GIFs
Der Brexit auf einem Bild (KFMW)
Was stimmt nicht mit dir, Europa? – Ein Kommentar von Julia Schramm bei Ze.tt
Die SUN – sowas wie die Bild in GB – erklärt NACH dem Referendum Ihren Leser*innen was auf sie zukommt. Diese sind “not amused”.
2 Kommentare:
Tolles Aufmacherbild. Hamlet. *dahinschmelz*
Schön auch der Link zu meinem Blog zwischen der SZ und Gifs. Da fühle ich mich in guter Gesellschaft.
Aber zur Sache: Verblüffend nüchterner Artikel, wie ich sie hier in letzter Zeit öfter lese, was mir grundsätzlich gefällt. Aber in diesem Fall hätte ich mir ein wenig mehr Einhornigkeit gewünscht. Es geht beim Brexit – meiner bescheidenen Meinung nach – nicht ums Pfund, oder Verträge oder die verkackte AfD. Die Europäische Union ist (vielleicht neben dem Internet und der Herrstellung von Geschlechtergerechtigkeit) der vermutlich grösste Zivilisationsfortschritt, an dem wir direkt und selber beteiligt sind. Ein wichtiger, wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gerechten Weltordnung, zu einer gerechten und guten Menschheit. Dabei einfach auszusteigen …
Das mag ein sehr grosser Rahmen sein, den ich da aufziehe. Ich empfehle, um das zu verstehen die Lektüre von Kim Stanley Robinsons 2312. Wir leben mehr als jemals zuvor in Zeiten globaler Probleme, das wissen alle, alle, alle. Die jetzt nicht gemeinsam und gemeinschaftlich anzugehen ist fahrlässig und falsch, falsch, falsch.
@ben_ Ja, ich sehe 70 Jahre Frieden auch als einen Verdienst der EU bzw. zuvor EG. Meine unnüchterne Meinung habe ich in GIFs ausgedrückt, da mir die Worte fehlten… https://www.kotzendes-einhorn.de/blog/2016-06/brexit-reaction-gifs/ ;)
(P.S.: Dabei ist Hamlet doch Däne…)