Felix Scharlau von Frederike Wetzels

Felix Scharlau im Interview

Felix Scharlau im Interview zu seinem neuen Roman “Du bist es vielleicht” über Stars, Sternchen, Medien, Memes und Ruhm.

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Lieber Felix, in deinem zweiten Roman geht es um ungewollte Berühmtheit und was das mit einem anrichtet. Du hast selbst lange als Kulturjournalist gearbeitet. Dort trifft man doch eher selten auf ungewollte Berühmtheiten, oder?

Erfolg – dafür ist die Musikgeschichte ja mitunter so interessant – war ja nie zu 100 Prozent planbar. Egal was zum Beispiel große Plattenfirmen auch versuchten, sicher konnten sie sich nie sein, dass es klappt. Warum sind Nirvana die größte Rockband des Planeten geworden, aber nicht, was weiß ich Nova Mob, Buffalo Tom oder die Replacements? Ich denke, die meisten jungen Bands rechnen schon gar nicht mit Ruhm, manche wollen ihn vielleicht auch nicht. Und selbst die vielen Künstler, die darauf hoffen, werden vom Ruhm überrascht und müssen einen gesunden Umgang mit ihm finden. Wie Timo Tripke in meinem Buch.

Das klingt schon recht analytisch. Magst Du aus dem Nähkästchen erzählen, was Du da beobachten konntest? Gab es vielleicht etwas, was Du selbst mit Musiker*innen erlebt hast und Du ins Buch einbringen konntest? Oder geht es eher allgemein um Auswirkungen des Ruhms?

Eher Letzteres. In dem Buch taucht sehr wenig Konkretes auf, das mir wirklich passiert wäre. Seltsamerweise fiel es mir schon immer leichter, mir etwas auszudenken, als über Erlebtes zu schreiben. Aber die vielen Interviews mit Bands, die ich einst geführt habe, waren natürlich ein abstrakter Ausgangspunkt für die Geschichte. Damals fiel mir immer auf, wie unterschiedlich locker Musiker in Interviews sind. Oft waren beispielsweise die unbekannteren Bands arroganter als die bekannteren. Vielleicht weil sie noch nicht gelernt hatten, wie es ist, berühmt zu sein oder für etwas zu stehen. Oder weil sie unterschwellig Angst hatten, alles schnell wieder zu verlieren, was sie sich aufgebaut hatten. Allüren gab es aber natürlich auch bei den ganz Großen. Joaquin Phoenix hat zum Beispiel mal ein Interview mit mir abgebrochen, weil ihm das Mikrofon eines anwesenden Fernsehteams zu groß war. Ich wiederhole: Es war ihm zu groß. Fünf Minuten später kam er rein und meinte „Now it’s okay“. Generell ist eine Interviewsituation oft awkward für beide Seiten, die Gespräche nur selten auf Augenhöhe. Das erlebt der Protagonist im Buch am eigenen Leib, während er immer berühmter wird, beispielsweise, wenn er auf eine Art Markus Lanz trifft.

Dein Protagonist Timo Tripke ist Lehrer und wird durch ein Viralvideo berühmt. Interessanterweise hatte ich am Anfang gedacht “Na nee, wegen sowas wird doch keiner wirklich berühmt.” bis mir einfiel, dass es das beschriebene Video ja wirklich gab und der Hype darum doch relativ groß war. Wie kamst Du auf die Idee gerade dieses Meme zu nehmen? Ein Lehrer, der aus dem Handgelenk einen perfekten Kreis zeichnen kann?

Ich kannte das Video erst gar nicht. Ich hatte das Buch sehr genau skizziert monatelang, bevor ich auch nur eine Zeile geschrieben habe. Aber in dieser einen Frage, wofür ein talentfreier, unsportlicher, unmotivierter Lehrer eigentlich berühmt werden könnte, kam ich ewig nicht weiter. Als ich dann irgendwann verzweifelt googelte nach „funny teacher“ oder so, war ich sofort begeistert, als ich auf das Video stieß. Der Kreis ist natürlich auch ein tolles Symbol. Und das Witzige ist: Je weiter die Karriere von Timo Tripke voranschreitet, desto eher vergisst man, wofür er ursprünglich berühmt wurde. Ganz wie bei einem echten B- oder C-Promi aus dem Dschungelcamp.

Hattest Du im Vorfeld oder durch die Recherche auch die Möglichkeit ein Meme oder jemanden der viral ging kennenzulernen?

Nein, ich habe mich da nicht konkret auf die Suche nach jemandem gemacht, das war gar nicht nötig. Ich kannte viele Geschichten über Leute, die morgens mit einem Shitstorm gegen sich aufwachten, weil sie abends besoffen etwas Falsches gepostet hatten. Und es gibt eine Reihe Interviews mit den unfreiwilligen Stars irgendwelcher Fotomemes, die ich gelesen habe. Aber das Unheimliche an Viralität ist ja ihre Unplanbarkeit, deshalb sind Menschen wie Timo Tripke in echt oft perplex und können gar nicht genau erklären, was da wie geschehen ist. Im Kleinen habe ich das Phänomen übrigens selbst mal erlebt – zum Glück ging aber nur mein Finger viral. Am Tag, nachdem Donald Trump gewählt wurde, gab es ein berühmtes Trump-Foto vorm Lincoln-Memorial. Wir hatten bei der heute-show, bei der ich arbeite, die Idee, etwas auf dem Foto teilzuanimieren. Wir drehten meine steinfarben geschminkte Hand und shoppten sie auf das Foto. So zeigte Lincoln Trump plötzlich den Mittelfinger. Das ging um die Welt, mir begegnet es heute manchmal noch bei Giphy oder auf Reddit. Vielleicht rührt daher auch ein wenig die Idee zum Buchthema. Es ist so faszinierend und unheimlich, wenn sich ein Netzphänomen seinen Weg bahnt.

Ich hab Dein Buch als Mediensatire auf aktuelle Zeiten wahrgenommen. Es kommen relativ junge Phänomene vor wie Trash-TV, Virals und Social Media vor, dennoch wird keine eindeutige Position bezogen. So wie es die Heuchler und Unsympathen gibt, gibt es auch die Herzensguten. Den Leser*innen wird kein Urteil über die Medienbranche aufgedrückt aber einige Mechanismen aufgezeigt. War es da wichtig das offen zu lassen?

Ja, das war mir total wichtig. Ich wollte diesmal ein „richtiges“ Buch schreiben. Eine wie auch immer geartete Moral, ein Zeigefinger, musste da dringend draußen bleiben. Denn die macht Geschichten kaputt oder zumindest blöd. Das Sujet Reality TV und Instagram lädt natürlich zum Bashen ein, zum Heraufbeschwören des zivilisatorischen Untergangs. Viele rechnen sicher damit, wenn sie das Buch in die Hand nehmen. Aber ich wollte weder dem medial abgehängtem Bildungsbürgertum nach dem Mund reden noch den Trash vergöttern. Denn ich spüre einfach weder die eine noch die andere Haltung in mir, wenn ich ehrlich bin. Ich fühle mich eher als neutraler Beobachter. Manchmal kommt mir zum Beispiel der Traum vom Job als Instagramer vor wie das Rennen zum Klondyke: Irgendwer hat Gold gefunden und alle wollen hinterher. Am Ende schreiben wie immer die Gewinner die bekanntesten Geschichten – die Verlierer aber vielleicht die schönsten. Und um die geht es bei mir eigentlich in allem, was ich schreibe. Ich könnte Timo, Güler oder Wiebke aus meinem Buch gar nicht verraten, selbst wenn ich wollte. Scheitern tun sie in den meisten Fällen trotzdem.

Es gibt einen Epilog mit einer Nebenfigur der eventuell auch ein Leben in Berühmtheit blühen könnte. Ich stellte mir dann die Frage ob das so wünschenswert ist. War das die Intention oder ging es eher darum, dass Deine Hauptfigur Timo Tripke noch was gut zu machen hatte?

Ohne zu viel spoilen zu wollen: beides. Ich beschreibe aufschwellenden und abschwellenden Ruhm als eine Art Kreislauf, deshalb passt das Meme mit Tripkes perfektem Kreis auch so toll auf symbolischer Ebene. Im Roman sind mehrere Figuren darauf aus, „es zu sein“. Was auch immer dieses „es“ überhaupt sein mag. Einige Personen waren schon oben, hatten schon Erfolg. Andere sind noch ganz unten. Es ist wie in der echten Welt: Die Menschen stehen Schlange, um berühmt zu sein – egal ob konkret beim Casting, beim Dschungelcamp oder in den Literaturbestsellerlisten oder Albencharts. Wenn der Stern eines Stars sinkt, sind Tausende da, um seinen Platz zu übernehmen. Dem Erfolg ist es egal, der vergisst, wer bei ihm zu Besuch war. Dass meine Hauptfigur im Verlauf der Geschichte mehrfach Schuld auf sich lädt und einiges gutzumachen hat, spielt am Ende aber tatsächlich auch eine Rolle. Und es freut mich, wenn man sich am Schluss fragt: Die Figur wird jetzt auch noch berühmt? Wünscht man ihr das wirklich? Denn die Frage wollte ich aufwerfen.

Felix Scharlau auf Lesetour:
31.01.20 Köln, King Georg
20.03.20 Mainz – Waschhaus
22.03.20 Stuttgart – Merlin
21.04.20 Kiel – Kuz Hansa 48
22.04.20 Rostock – Mau
29.04.20 Reichenbach – Die Halle
06.11.20 Ludwigshafen – Stadtbibliothek

Weiterführende Links:
Leseprobe aus “Du bist es vielleicht”
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Disclaimer: Ich kenne Felix schon aus meiner Zeit beim intro-Magazin und bin auch mit dem Ventil-Verlag verbandelt…

(Foto von: Frederike Wetzels)



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